Seit dem BGH-Urteil vom 20.10.2021 (Az. IV ZR 236 / 20)[1] sind Nässeschäden aufgrund eines bestimmungswidrigen Wasseraustritts aus dem verfugten und verfliesten Bereich, der unmittelbar an eine mit dem Rohrsystem verbundene Einrichtung (z. B. Badewanne oder Dusche) angrenzt nur noch dann mitversichert, wenn der jeweilige Versicherer oder Assekuradeur dies entweder bedingungsseitig, einzelvertraglich oder per Rundschreiben bestätigt. Dies betrifft z. B. eine undichte Silikonfuge zwischen einer Duschwanne und der daran angrenzenden Wand).
Fugenschaden in Höhe von über 50.000 Euro
In dem vor dem Bundesgerichtshof (BGH) verhandelten Urteil ging es um eine Schadenhöhe von insgesamt 17.575,70 Euro[2]. Die Itzehoer Versicherung benennt ein weiteres Schadenbeispiel:
„Der Fall: Wasserschaden durch schadhafte Fugen in Honigsee bei Kiel.
Das Problem: Bei einem Anbau tauchen feuchte Stellen an der Rückseite der Badezimmer-Wand auf. Ein defektes Eckventil unter dem Waschbecken? Nein. Die Fugen der ebenerdigen Duschwanne sind undicht.
Die Folgen: Das Leck bleibt, wie so oft in diesen Fällen, lange unbemerkt. Die Ständer der Holzrahmenbauweise werden feucht und rotten.
Der Schaden: mehr als 50.000 Euro.
Die Gebäudeversicherung der Itzehoer hat hier gezahlt.
Aber: Wer zahlt in Zukunft?“[3]
Vor dem Urteil war es die gängige Regulierungspraxis, dass Versicherer für solche Schäden auch ohne ausdrückliche Klarstellung geleistet haben. Dennoch gab es auch früher schon Streitfälle, die vor Gerichten landeten. So musste etwa das OLG Schleswig (Urteil vom 11.06.2015, Az. 16 U 15 15) über einen entsprechenden Fugenschaden urteilen.
Versicherungsschutz oder Ausschluss wegen Schwamm und Planschwasser?
Grund für den Wasseraustritt sei der Verschleiß einer dauerelastischen Fuge in der Badewanne gewesen. Der Versicherer berief sich darauf, dass der Schaden durch Planschwasser sowie durch in den Bedingungen ausgeschlossenen Schwamm verursacht worden sei [4].
„Doch in der Berufung stimmte das Oberlandesgericht Schleswig dem Versicherungsnehmer zu, dass der Versicherungsfall in Form eines Leitungswasserschadens eingetreten sein muss. Dabei ist das Leitungswasser bestimmungswidrig und unmittelbar ausgetreten, da der Austritt innerhalb von verbundenen Einrichtungen oder wasserführenden Teilen geschehen ist. Da sich die Dusche als verbundene Einrichtung innerhalb der Sanitäreinrichtung anzusehen ist, liegt ein versicherter Schaden vor, egal ob das Wasser und der daraus resultierende Schaden durch die Silikonfuge oder durch eine undichte Wand eingedrungen ist.“ [5]
Da es noch immer viele Bedingungswerke ohne ausdrückliche Klarstellung zum Thema gibt, empfiehlt es sich, ältere Bedingungswerke daraufhin zu überprüfen, ob die jeweilige Gesellschaft entweder per Updategarantie, Innovationsklausel, Newsletter (z. B. Domcura[6], InterRisk[7], Konzept & Marketing[8], VHV[9]) oder individuellen Kundenanschreiben eine Mitversicherung erklärt hat oder inwiefern eine Tarifumstellung bzw. ein Versichererwechsel angezeigt wären.
Fragt man Versicherer nach ihren Schadenerfahrungen, der durchschnittlichen oder maximalen Schadenhöhe im Zusammenhang mit Fugenschäden, so lesen sich die meisten Antworten ähnlich wie jene der Janitos Versicherung AG:
„nach Rückmeldung unserer Schadenabteilung kann hier leider keine Aussage getroffen werden, da in unserem Bestandsführungssystem, speziell zu Ihrer Anfrage, keine Auswertung vorgenommen werden kann.“
Risiko & Vorsorge hat hierzu ein Interview mit Jens Reichert, Marktbeobachter bei der INTER Versicherungsgruppe aus Mannheim, geführt.
Jens Reichert von der INTER im Gespräch
Stephan Witte: Wie hoch sind Fugenschäden, wenn welche auftreten?
Jens Reichert: Das hängt stark davon ab, wie lange das Wasser auf den Bau einwirken konnte, welche Baustoffe betroffen sind und in welchem Umfang Schimmelbefall entstehen konnte. Wenn Wasser über längere Zeit auf Wände und in Böden einwirkt, sind hohe Schäden durch Trocknung, Unbewohnbarkeit und Sanierung eher die Regel als die Ausnahme.
Stephan Witte: Wie hoch ist der durchschnittliche Schaden bei der INTER?
Jens Reichert: Dazu haben wir keine Statistik. Die Schadenhöhen sind sehr volatil.
Stephan Witte: Manche Versicherer haben das Risiko von Fugenschäden schon eingeschlossen, bei anderen gibt es Begrenzungen auf z. B. 5.000 Euro. Wie geht die INTER damit um?
Jens Reichert: Richtig, im Markt gibt es unterschiedliche Regelungen für Wohn- und Geschäftsgebäude, bei einzelnen Anbietern eventuell auch für Ein- und Mehrfamilienhäusern. In neuen Produkten kann der Schutz auch zu Abgrenzungen zwischen Basis- und Premiumprodukten genutzt werden. Konkrete Aussagen zum Markt, zu den Angeboten unserer Mitbewerber liegen uns nicht vor.
Ältere Bedingungswerke enthalten dazu keine Regelung. Nach dem BGH-Urteil (IV ZR 236/20) haben aber viele Versicherer, darunter die INTER, erklärt, die Schäden auch für betroffene Bestandskunden weiterhin zu regulieren. Wir wenden das BGH-Urteil (IV ZR 236/20) nicht auf die Schäden unserer Bestands- und Neukunden an. Wir leisten Entschädigung für versicherte Sachen, die durch Leitungswasser zerstört oder beschädigt werden, weil Dehnungs-/Anschlussfugen von Badewannen oder Duschen in Badezimmern undicht geworden sind. Ausgeschlossen bleiben Nässeschäden wegen undichten Silikonfugen und Fliesen in Betriebsräumen und Betriebsbereichen, die aus betrieblichen oder hygienischen Gründen überwiegend oder vollflächig gefliest oder anderweitig versiegelt sind oder baulich als Feucht- oder Nassraum ausgeführt sind (z.B. Großküchen, Schwimmbäder und Schwimmhallen, in Fitnessstudios oder Schwimmbädern übliche Mehrpersonenduschbereiche und ‑räume sowie vergleichbare Einrichtungen).
Stephan Witte: Welche Summe ist aus Ihrer Sicht für die Mitversicherung von Fugenschäden ausreichend?
Jens Reichert: Je höher, desto besser. Am besten bis zur vollen Versicherungssumme.
Stephan Witte: Herzlichen Dank für das freundliche Gespräch.
[1] Siehe https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=3&nr=123945&pos=21&anz=822, zuletzt aufgerufen am 05.01.2021
[2] „Bundesgerichtshof im Namen des Volkes Urteil IV ZR 236/20“ auf „bundesgerichtshof.de“, S. 4. Aufzurufen unter https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=123945&pos=13&anz=822&Blank=1.pdf, zuletzt aufgerufen am 17.06.2024.
[3]„ Schadenbeispiele Wohngebäudeversicherung“ auf „itzehoer.de“. Aufzurufen unter https://www.itzehoer.de/dokumente/produkte/wohnen-und-eigentum/wohngebaeudeversicherung/a‑07 – 500_schadenbeispiele-wohngebaeude_11-2023_fsmim.pdf, zuletzt aufgerufen am 17.06.2024.
[4] Siehe „Nässeschäden durch undichte Fugen oder beschädigte Fließen in der Gebäudeversicherung“ auf „grafenberg-gruppe.de“. Aufzurufen unter https://grafenberg-gruppe.de/naesseschaeden-durch-undichte-fugen/, zuletzt aufgerufen am 11.06.2024.
[5] Siehe „Nässeschäden durch undichte Fugen oder beschädigte Fließen in der Gebäudeversicherung“ auf „grafenberg-gruppe.de“. Aufzurufen unter https://grafenberg-gruppe.de/naesseschaeden-durch-undichte-fugen/, zuletzt aufgerufen am 11.06.2024.
[6] „Fugenurteil – wir regulieren ohne Wenn und Aber“ auf „domcura-ag.de“ vom 10.03.2022. Aufzurufen unter https://www.domcura-ag.de/newsletter/2022 – 03-10/, zuletzt aufgerufen am 17.06.2024.
[7] „Undichte Fugen: Informationen zur Regulierung bei der InterRisk“ auf“ interrisk.de“. Aufzurufen unter https://www.interrisk.de/de/landingpages/wohngebaeude/fugen.php, zuletzt aufgerufen am 17.06.2024.
[8] Email vom 16.12.2021 an die Vermittler:
„wie jüngst in der Fachpresse berichtet (versicherungsjournal.de) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Nässeschäden wegen einer undichten Fuge zwischen einer Duschwanne und einer angrenzenden Wand kein abgesicherter Leitungswasserschaden im Rahmen einer Wohngebäudeversicherung sind.
Dieses Urteil ist mit Sicherheit nicht im Sinne des Versicherungsnehmers, da entsprechende Schäden in der Regel erst zu erkennen sind, wenn es bereits zu einer Durchnässung des betroffenen Wandbereichs und damit zu einem erheblichen Schaden gekommen ist. Deshalb haben wir bei K&M solche Schäden bislang als versichert betrachtet und reguliert.
Im Interesse unserer gemeinsamen Kunden, haben wir im Nachgang an das BGH-Urteil Gespräche mit unseren risikotragenden Versicherungsgesellschaften geführt und die Zusage erhalten, dass wir aktuell an unserer bisherigen Regulierungspraxis festhalten dürfen.
Als Ihr Maklerpartner möchten wir diese Leistung für Sie und Ihre Kunden auch dauerhaft in unseren Versicherungsbedingungen verankern. Dafür stehen wir weiterhin im intensiven Austausch mit unseren Risikoträgern und werden Sie sobald möglich über die Fortschritte informieren.“
[9] „Undichte Fugen im Bad: Zahlt Ihre Versicherung?“ auf „vhv.de“. Aufzurufen unter https://www.vhv.de/versicherungen/hausversicherung/wohngebaeudeversicherung/undichte-fugen-im-bad, zuletzt aufgerufen am 17.06.2024.