Am 21.12.2020 verhängte Präsident Lenín Moreno Garcés für 30 Tage den Ausnahmezustand (vollständiger Text des Exekutivdekrets Nr. 1217 siehe hier) über das an der südamerikanischen Westküste liegende Ecuador[1]. Damit wolle er die Verbreitung von möglichen Infektionen mit Covid-19 bewirken[2], speziell aber auch eine mögliche Verbreitung der in Großbritannien entdeckten Mutation des SARS-coV2-Virus[3],[4]. Außerdem verkündete er Ausgangssperren für einen Zeitraum von 14 Tagen für die Zeit von abends 22:00 Ihr bis um 04:00 Uhr morgens. Weitere Einschränkungen betrafen den Straßenverkehr: an manchen Wochentagen durften nur noch Kfz mit geradem, an anderem nur solche mit ungeraden Kennzeichen verkehren. Strenge Reglementierungen wurden auch für Gastronomie und Handel verhängt. So durften Einkaufszentren nur noch mit der halben Fläche für die Zeit von 08:00 Uhr bis 20:00 Uhr, Restaurants sogar nur noch mit 30 Prozent ihrer Fläche eröffnen.
Weihnachten und Neujahr nach Präsidentenwunsch im Lockdown
Medizinisch wenig nachvollziehbar sollten die Strände am 24.12.2020., 25.12.2020., 31.12.2020 sowie 01.01.2021 geschlossen bleiben[5]. Wie auch in Deutschland (siehe zum Beispiel Beitrag hier) scheinen besonders die großen Feiertage ein erhöhtes Infektionsrisiko zu bedeuten und besonders strenge Maßnahmen zu rechtfertigen. Vollständig geschlossen werden mussten Bars, Diskotheken und sonstige Lokalitäten des Nachtlebens (y centros de diversión nocturna)[6].
Zu den Neujahrstraditionen in Ecuador gehört das Verbrennen einer Flickenpuppe, der so genannten Monigotes, am 31.12. zur Mitternacht[7]. Auch diese Tradition wurde auf Veranlassung von Präsident Moreno für den Jahreswechsel 2020 / 2021 untersagt. Weitere Einschränkungen (negative PCR- oder Antigentests bzw. 10 Tage Quarantäne bei Einreise) betrafen Reisende aus Australien, der Europäischen Union, Großbritannien sowie Südafrika[8].
Die beschriebenen Maßnahmen führten zu einer weitgehenden Lahmlegung des öffentlichen Lebens in Ecuador. Außerdem bedeutete der Lockdown für die Bürger, dass diese nur noch in extremen Ausnahmefällen ihre Wohnungen verlassen durften und dass der öffentliche Verkehr nahezu zum Erliegen kam. Begründet wurde diesen harten Maßnahmen mit einer Mutation des SARS-CoV2-Virus, von dessen Entdeckung Großbritannien berichtet hatte.
Ausnahmezustand bereits 2019
Kritiker weisen darauf hin, dass Lenín Moreno nicht erst durch die Coronakrise zu einem autoritären Hardliner geworden sei:
„Moreno war 2017 mit einem linken Programm angetreten, aber sehr bald auf einen neoliberalen Kurs eingeschwenkt, was 2019 zu schweren Unruhen und einem Generalstreik führte. Er hat also Erfahrung mit autoritärer Politik.“[9]
Bereits im Oktober 2019 verhängte der ecuadorische Präsident einen Ausnahmezustand von 60 Tagen über sein Land:
„Nach Massenprotesten gegen seine Regierung hat Ecuadors Staatschef Lenín Moreno den Ausnahmezustand verhängt. »Um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten und Chaos zu verhindern«, sagte Moreno am Donnerstag nach einer Kabinettssitzung in der Hauptstadt Quito. Unter dem Ausnahmezustand kann Moreno auch Militär auf den Straßen einsetzen, die Bewegungsfreiheit einschränken und die Medien zensieren. Der Ausnahmezustand gilt zunächst für 60 Tage. Die Proteste hatten sich an Benzin- und Dieselpreiserhöhungen entzündet.“[10]
Den Erhöhungen lag die Rücknahme von Subventionen zugrunde, was damals im so genannten Dekret 833 überraschend erklärt worden war. Der Wegfall der Treibstoffsubventionen habe damals nach Angaben von Telepolis einen Preisanstieg von 110 Prozent bedeutet[11].
Die damaligen Proteste im Land, die nach Presseberichten sechs[12] oder sieben[13] Tote, mehr als 1.300 Verletzte sowie 1.100 Festnahmen zur Folge hatten, wurde erst nach tagelangen Demonstrationen und einer Wiedereinführung der Subventionen für die Treibstoffe beendet. Vorangegangen seien Diskussionen der indigenen Nationalitäten mit dem Präsidenten[14].
Nach 9 Monaten immer noch Spekulationen als Grundlage für Grundrechtseingriffe
Bezogen auf den aktuellen Lockdown stellte das Verfassungsgericht von Ecuador am 27.12.2020 fest, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Verhängung des Ausnahmezustandes nicht erfüllt seien.
„Sieben der neun Richter sahen es als erwiesen an, dass diese Maßnahmen nicht mit der ecuadorianischen Verfassung in Einklang stehen. Das Gericht kritisierte insbesondere die fehlende räumliche und zeitliche Abgrenzung als auch die Untverhältnismäßigkeit [sic!] der Maßnahmen. Darüber hinaus vertraten die Richter die Ansicht, dass die Regierung mit den ihr zur Verfügung stehenden konventionellen präventiven Maßnahmen ausreichend auf die Pandemie reagieren könne.“[15]
Auf „El Commercio“ vom 02.01.2021 heißt es weiter:
„En un comunicado, la Corte señala que “… no es indiferente frente a las consecuencias de la capacidad de respuesta del sistema de salud pública si la tendencia de hospitalización se mantiene creciente , ni frente à la gravedad de los posibles efectos de la nueva mutación del virus, a los que se refiere al decreto en cuestión ”; sin embargo, enfatizó que “… no le corresponda determinar entonces son las medidas de política pública necesaria para enfrentar las consecuencias de la pandemia [sino] debe centrarse en la justificación y las razones ofrecidas [en el decreto]”.” [16]
Auf Deutsch übersetzt, hier mittels DeepL.com/Translator (kostenlose Version):
„In einer Erklärung stellt das Gericht fest, dass „… es nicht gleichgültig ist gegenüber den Folgen für die Reaktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitswesens, wenn die Tendenz der Krankenhauseinweisungen weiter zunimmt, und auch nicht gegenüber der Schwere der möglichen Auswirkungen der neuen Mutation des Virus, auf die sich das fragliche Dekret bezieht“; es betont jedoch, dass „… es nicht an ihm liegt, dann zu bestimmen, welche Maßnahmen der öffentlichen Ordnung notwendig sind, um die Folgen der Pandemie zu bewältigen, [sondern] es muss sich auf die Rechtfertigung und die Gründe konzentrieren, die [in dem Dekret] angeboten werden“.“
Ausnahmezustand dürfe sich nicht dauerhaft auf zukünftige Gefahren stützen
Ein Ausnahmezustand sei laut Gericht nur für außergewöhnliche Situationen vorgesehen, die nicht durch Rückgriff auf das normale Rechtssystem und dessen Institutionen gelöst werde könnten. Dauerhafte Einschränkungen aufgrund Dekrets bei Fortdauer einer Pandemie einfach aufrechtzuerhalten sei verfassungsrechtlich nicht zulässig.
Im Artikel heißt es weiter zur verfassungsrechtlichen Einordnung durch das Gericht:
„Constató que el Presidente de la República fundamentó el estado de excepción en un posible riesgo futuro y no actual, sin base en información suficiente, clara y específica. Ya que los estados de excepción operan frente a circunstancias actuales y ciertas, no se cumplió con la carga probatoria para justificar la ocurrencia real de los hechos.“ [17]
Auf Deutsch übersetzt, hier wieder mittels DeepL.com/Translator (kostenlose Version):
„Es stellte fest, dass der Präsident der Republik den Ausnahmezustand auf ein mögliches zukünftiges Risiko und nicht auf ein aktuelles Risiko stützte, ohne ausreichende, klare und spezifische Informationen. Da Ausnahmezustände unter aktuellen und bestimmten Umständen wirken, wurde die Beweislast für das tatsächliche Eintreten der Ereignisse nicht erfüllt.“
Generell sei eine Pandemie, die weltweit bereits seit neun Monaten wüte, nicht mehr unvorhersehbar und der Verweis auf eine angeführte öffentliche Notlage daher nicht greife. Gleichwohl sei dem Gericht die Ernsthaftigkeit der Lage mit erheblichen Einwirkungen auf verschiedene Rechte sehr wohl bewusst. Man könne jedoch nicht durch Verweis auf bereits bekannte Tatsachen neue Grundrechtseinschränkungen vornehmen, mit denen bereits vorhergehende schwere Eingriffe in das persönliche und öffentliche Leben begründet wurden. Mit der erneuten Ausrufung des Ausnahmezustandes habe der Präsident sich erkennbar nicht an die Grundsätze von Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit gehalten, womit die erneuten Eingriffe in die Grundrechte durch die Verfassung nicht gedeckt seien[18].
Präsident beugt sich Gerichtsurteil, scheint sich jedoch im Recht zu fühlen
Nachdem die Unrechtmäßigkeit seiner Maßnahmen durch das höchste Gericht des Landes festgestellt wurde, akzeptierte der Regierungschef dieses Urteil, zog die Konsequenzen und erklärte den Ausnahmezustand für beendet. Gleichwohl werde er alles unternehmen, um seiner Meinung nach dadurch Leben zu retten. Dazu gehöre auch die Impfung der 17 Millionen Einwohner seines Landes durch den Impfstoff des US-Pharmaunternehmens Pfizer[19]. „Darüber hinaus suche man nach Aussage von Gesundheitsminister Juan Carlos Zevallos zwischen 5.000 und 8.000 Freiwillige für eine klinische Studie mit einem neuen chinesischen Impfstoff.“[20]
[1] Xx „Estado de excepción y toque de queda de 22:00 a 04:00 en Ecuador por nueva cepa de coronavirus“ in „elcomercio.com“ vom 21.12.2020 um 12:09 Uhr. Download unter https://www.elcomercio.com/actualidad/medidas-coe-festividades-cepa-coronavirus.html, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 14:04 Uhr.
[2] Jonathan Machado „Presidente Moreno anuncia un nuevo estado de excepción por 30 días.” In: „primicias.ec” vom 21.12.2020 um 12:24 Uhr
[3] Marius Weichler „Verfassungsgericht kippt Ausnahmezustand wegen Corona in Ecuador“ In: „amerika21.de“ vom 07.01.2021. Download unter https://amerika21.de/2021/01/246706/ecuador-ausgangssperre-verfassungswidrig, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 13:06 Uhr.
[4] „Corte Constitucional: Decreto 1217 para estado de excepción es inconstitucional“ In: „elcomercio.com“ vom 02.01.2021 um 23:14 Uhr. Download unter https://www.elcomercio.com/actualidad/corte-constitucional-decreto-excepcion.html, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 14:10 Uhr.
[5] Jonathan Machado „Presidente Moreno anuncia un nuevo estado de excepción por 30 días.” In: „primicias.ec” vom 21.12.2020 um 12:24 Uhr
[6] Jonathan Machado „Presidente Moreno anuncia un nuevo estado de excepción por 30 días.” In: „primicias.ec” vom 21.12.2020 um 12:24 Uhr
[7] Siehe z.B. „This is Ecuador. The most complete guide of Ecuador.” In: „thisisecuador.com” vom 21.12.2018. Download unter https://www.thisisecuador.com/blog/new-years-ecuador-festivities/, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 13:33 Uhr.
[8] Jonathan Machado „Presidente Moreno anuncia un nuevo estado de excepción por 30 días.” In: „primicias.ec” vom 21.12.2020 um 12:24 Uhr
[9] AA „Ecuador: Ausnahmezustand gekippt“ in: „corodok.de“ vom 06.01.2021. Download unter https://www.corodok.de/ecuador-ausnahmezustand-gekippt/, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 13:10 Uhr.
[10] „Ecuadors Staatschef verhängt Ausnahmezustand“ in „neues-deutschland.de“ vom 04.10.2019 um 12:42 Uhr. Download unter https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126675.proteste-gegen-moreno-ecuadors-staatschef-verhaengt-ausnahmezustand.html, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 15:41 Uhr.
[11] Harald Neuber „Volksaufstand in Ecuador erzwingt Rücknahme von IWF-Reformen“ in „Telepolis“ vom 14.10.2019. Download unter https://www.heise.de/tp/features/Volksaufstand-in-Ecuador-erzwingt-Ruecknahme-von-IWF-Reformen-4555039.html, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 15:55 Uhr.
[12] „Ecuadors Präsident zieht Treibstoff-Dekret zurück“ in „rdl.de“ vom 15.10.2019 um 08:56 Uhr. Download unter https://rdl.de/beitrag/ecuadors-pr-sident-zieht-treibstoff-dekret-zur-ck, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 15:48 Uhr
[13] Harald Neuber „Volksaufstand in Ecuador erzwingt Rücknahme von IWF-Reformen“ in „Telepolis“ vom 14.10.2019. Download unter https://www.heise.de/tp/features/Volksaufstand-in-Ecuador-erzwingt-Ruecknahme-von-IWF-Reformen-4555039.html, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 15:55 Uhr.
[14] „Ecuadors Präsident zieht Treibstoff-Dekret zurück“ in „rdl.de“ vom 15.10.2019 um 08:56 Uhr. Download unter https://rdl.de/beitrag/ecuadors-pr-sident-zieht-treibstoff-dekret-zur-ck, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 15:48 Uhr
[15] Marius Weichler „Verfassungsgericht kippt Ausnahmezustand wegen Corona in Ecuador“ In: „amerika21.de“ vom 07.01.2021. Download unter https://amerika21.de/2021/01/246706/ecuador-ausgangssperre-verfassungswidrig, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 13:06 Uhr.
[16] „Corte Constitucional: Decreto 1217 para estado de excepción es inconstitucional“ In: „elcomercio.com“ vom 02.01.2021 um 23:14 Uhr. Download unter https://www.elcomercio.com/actualidad/corte-constitucional-decreto-excepcion.html, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 14:10 Uhr.
[17] „Corte Constitucional: Decreto 1217 para estado de excepción es inconstitucional“ In: „elcomercio.com“ vom 02.01.2021 um 23:14 Uhr. Download unter https://www.elcomercio.com/actualidad/corte-constitucional-decreto-excepcion.html, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 14:10 Uhr.
[18] „Corte Constitucional: Decreto 1217 para estado de excepción es inconstitucional“ In: „elcomercio.com“ vom 02.01.2021 um 23:14 Uhr. Download unter https://www.elcomercio.com/actualidad/corte-constitucional-decreto-excepcion.html, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 14:10 Uhr.
[19] „Tras declaración de inconstitucionalidad, gobierno de Ecuador anulará su estado de excepción“ in: „cooperativa.cl“ vom 03.01.2021 um 22 :21 Uhr. Download unter https://www.cooperativa.cl/noticias/mundo/ecuador/tras-declaracion-de-inconstitucionalidad-gobierno-de-ecuador-anulara-su/2021 – 01-03/220627.html, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 16:03 Uhr.
[20] Marius Weichler „Verfassungsgericht kippt Ausnahmezustand wegen Corona in Ecuador“ In: „amerika21.de“ vom 07.01.2021. Download unter https://amerika21.de/2021/01/246706/ecuador-ausgangssperre-verfassungswidrig, zuletzt aufgerufen am 09.01.2021 um 13:06 Uhr.