Als Patient sollte man seinen Arzt nach einer Berufshaftpflicht fragen, um ganz sicher zu gehen.
„Risiko & Vorsorge“ im Interview mit Dr. Boorboor von Cosmopolitan Aesthetics in Hannover
Risiko & Vorsorge: Es ist schön, dass Sie sich die Zeit für ein Interview nehmen konnten. Herr Dr. Boorboor, Sie sind Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie und Geschäftsführer der Cosmopolitan Aesthetics in Hannover und Hamburg. In dieser Funktion führen Sie mit Ihrem Team jährlich etwa 500 bis 600 Brustoperationen sowie ca. 1.000 weitere chirurgische Eingriffe durch. Aus welchem Grunde kommen die meisten Patienten und Patientinnen zu Ihnen?
Boorboor: Da unsere Kliniken und Ärzte auf ästhetische Operationen ausgerichtet sind, sind die meisten unserer Patienten solche, welche mit Wunsch nach einer äußerlichen Veränderung zu uns kommen. Die meisten unserer Operationen sind in der Tat Brustoperationen zur Vergrößerung, Verkleinerung bzw. Straffung. Ansonsten finden bei uns eine hohe Zahl von Fettabsaugungen und Gesichtseingriffen statt.
Risiko & Vorsorge: Wie oft kommt es vor, dass Sie in Anspruch genommen werden, weil Versicherte einen unfallbedingten chirurgischen Eingriff vornehmen lassen müssen, um die kosmetischen Folgen solcher Unfälle zu korrigieren?
Boorboor: Da es sich bei unseren Kliniken um Privatkliniken handelt, kommen Patienten aus dieser Gruppe nur dann zu uns, wenn die Leistung z.B. durch eine private Unfallversicherung oder Haftpflichtversicherung des Unfallgegners übernommen wird. Wir haben etwa fünf bis zehn solche Fälle im Jahr.
Risiko & Vorsorge: Was sind im Zusammenhang mit unfallbedingten kosmetischen Operationen die häufigsten Behandlungen und wie gestaltet sich die Leistungsabwicklung mit den Unfallversicherungen?
Boorboor: Am häufigsten sind es Narbenkorrekturen, die nach schlecht verheilten Wunden durchgeführt werden; überwiegend im Gesichtsbereich, wo die Narben auffällig zu sehen sind. Wenn wir eine Narbenkorrektur als aussichtsreich erachten, wird von unserer Seite eine Indikationsbestätigung mit dem operativen Vorhaben in Form einer GOÄ-Rechnung als Kostenvoranschlag erstellt. Wenn die Versicherung dem zustimmt, wird die Operation geplant.
Risiko & Vorsorge: Laut Statista (Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/258341/umfrage/laender-mit-den-meisten-brustvergroesserungen/) wurden in Deutschland im Jahre 2017 insgesamt 39.300 Brustoperationen durchgeführt. Damit liegt Deutschland auf Platz 9 der Statistik. Welches sind die häufigsten Schönheitsoperationen, die Ihr Haus durchführt?
Boorboor: Auch bei uns sind Brustoperationen mit einem Anteil von ca. 35 % der häufigste Eingriff.
Risiko & Vorsorge: In welchem Umfang beteiligen sich gesetzliche oder private Krankenkassen an den Kosten solcher Operationen bzw. an den Folgen missglückter Operationen?
Boorboor: Als plastischer Chirurg wird man sehr oft mit der Frage konfrontiert, ob die Krankenkasse die eine oder andere Schönheitsoperation übernimmt. Selbst eine Teilfinanzierung der Kosten würde eine Entlastung der Patientinnen und Patienten bedeuten. Zunächst stellt sich die Frage: wann muss eine Krankenversicherung bezahlen? Nach SGB V haben gesetzliche Krankenversicherungen als Solidargemeinschaft die Aufgabe, „die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu verbessern.“ Das Gesetz stellt unmissverständlich klar, dass es um die körperliche – aber auch – um die geistige Gesundheit geht. Und „Schönheitsoperationen“ haben überwiegend das Ziel, die äußere Erscheinung zu verbessern, weshalb diese grundsätzlich keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherungen erfüllen.
Es gibt allerdings Ausnahmen bzw. eine große Grauzone. Da zur „Gesundheit“ im Allgemeinen auch die geistige Gesundheit zählt, gibt es nicht selten bestimmte körperliche Erscheinungen, die die Seele der Betroffenen belasten. Von einer ästhetischen Korrektur würden diese Menschen sicherlich auch seelisch profitieren. Das kann weitreichende positive Folgen bis hin zu einfacherem Aufbau von sozialen Kontakten und bessere Chancen im Job haben. Nur eine Grenze festzusetzen, ab wann diese Erscheinung als „Krankheit“ gilt oder nicht, ist eine sehr komplizierte Aufgabe. Hier kollidieren die Interessen der einzelnen Betroffenen mit denen der Solidargemeinschaft.
Allein der Wunsch der Patientinnen und Patienten nach einer Operation und eine Bestätigung des störenden Befundes durch einen Facharzt für plastische Chirurgie ist für eine Krankenversicherung noch lange nicht ausreichend für eine Kostenübernahme.
Es gibt allerdings auch eine Gruppe von Diagnosen, die nachweislich zu körperlichen Erkrankungen führen können. So können sehr große Brüste zu Wirbelsäulenbeschwerden und Hautausschlägen in den Falten führen. Hier würde eine Brustverkleinerung zu einer Besserung der körperlichen Beschwerden führen. Wenn ein Orthopäde oder Hautarzt den Zusammenhang mit der „Gigantomastie“ bestätigt, muss die Krankenversicherung die Kosten übernehmen.
Generell kann man sagen, dass der Anteil von „Kasseneingriffen“ in unseren Kliniken bei etwa 2 % liegt, mit anderen Worten die meisten sind Selbstzahler. Korrektur von anderweitig missglückten Operationen ist ein Schwerpunkt unserer Kliniken, wobei in den meisten Fällen auch hier die meisten Korrekturen von den Patienten selbst bezahlt werden, da sich sowohl die gesetzlichen als auch die privaten Krankenversicherungen leider nicht in der Leistungspflicht nach SGB V sehen.
Risiko & Vorsorge: Welche Möglichkeiten haben Patienten, wenn die Krankenversicherung eine Kostenübernahme ablehnt und objektiv ein Leistungsanspruch vorliegt?
Boorboor: Da sind die Möglichkeiten leider relativ beschränkt. Manche wechseln ihre Krankenversicherung, manche führen einen teilweise jahrelangen teuren Prozess gegen die Krankenkasse mit unklarem Ausgang. Deshalb geben wir in solchen Fällen die Empfehlung, lieber selbst den Eingriff nach Möglichkeit zu bezahlen.
Risiko & Vorsorge: Mit welchen Kosten müssen Patienten rechnen, wenn sie sich z.B. für eine Brustvergrößerung, eine Nasenkorrektur oder eine Fettabsaugung interessieren und diese Kosten selbst tragen müssen?
Boorboor: Die Kosten variieren je nach Aufwand. Im Allgemeinen muss bei man bei seriösen und etablierten Kliniken mit etwa 6.000 EUR für eine Brustvergrößerung, 5 bis 6.000 EUR für eine Nasenkorrektur und zwischen 2.000 und 7.000 EUR für Fettabsaugungen rechnen, je nachdem, wie viele Gebiete abgesaugt werden.
Risiko & Vorsorge: Verschiedene Medien haben jüngst über die „Jahresstatistik 2018: Behandlungsfehler-Begutachtung der MDK-Gemeinschaft“ berichtet (z.B. https://www.versicherungsjournal.de/markt-und-politik/die-haeufigsten-behandlungsfehler-135686.php?vc=rss_artikel&vk=135686). Hiernach seien 2018 etwa 14.100 Vorwürfe gegen Ärzte wegen Behandlungsfehlern ergangen, davon etwa ein Viertel berechtigt. Deckt sich dies mit Ihren Erfahrungen zur Branche? Die Statistik gibt keinerlei Angaben für den Bereich der plastischen Chirurgie.
Boorboor: Es gibt in unseren Fachgesellschaften kein Register für angemeldete Rechtsfälle. Da sind die Versicherungen, die auf plastische Chirurgie spezialisiert sind sicherlich die richtigen Ansprechpartner für solche Statistiken. Rein vom Gefühl würde ich aber auch sagen, dass die meisten Vorwürfe wegen Behandlungsfehlern eher unberechtigt sind. Behandlungsfehler sind echte „Fehler“ seitens des Arztes bzw. Erfüllungsgehilfen. Als Beispiel hierfür gelten vergessene OP-Materialien in der Wunde oder eine nicht nach Leitlinien durchgeführte Operation. Im Zweifel setzen sich damit Gutachter und Gerichte auseinander, was ein „Fehler“ und was als schicksalhaft einzustufen ist. Komplikationen, die eher durch „schicksalshafte Komplikationen“ auftreten rechtfertigen bei guter Aufklärung vorab keinen Anspruch auf Schadenersatz.
Risiko & Vorsorge: Was sind die häufigsten Behandlungsfehler im Zusammenhang mit Fettabsaugungen und Brustvergrößerungen?
Boorboor: Bei uns gibt es größere Komplikationen bei etwa 1 Prozent unserer Eingriffe. Im Zusammenhang mit Brustvergrößerungen spielen Fehlplatzierungen, Nachblutungen und Kapselfibrosen die größte Bedeutung. Seitdem wir auf mikrotexturierte Implantate umgestellt haben, ist ein deutlicher Rückgang an Verkapselungen festzustellen. Diese Komplikationen können durch erneute Operationen behoben werden.
Darüber hinaus kommt es in etwa 4 bis 5 Prozent aller Fälle zu Nervenschädigungen und Empfindungsstörungen (z.B. an der Brustwarze). In der Regel sind solche Störungen auf einen Zeitraum von ca. 1 bis 2 Jahren begrenzt. Es gibt aber auch Fälle, in denen eine dauerhafte Sensibilitätsabnahme verbleibt. Dies ist dann leider nicht mehr korrigierbar, in den meisten Fällen allerdings auch nicht so störend.
Risiko & Vorsorge: Welche Erfahrungen haben Sie in diesem Zusammenhang mit der Regulierung durch Folgekostenversicherungen gemacht?
Boorboor: Wir arbeiten mit unserem Versicherer schon seit sieben Jahren zusammen und hatten noch keine Probleme. Bislang wurden alle Versicherungsfälle anstandslos reguliert. In der Regel liegen die Kosten bei unter 5.000 Euro, wobei wir kleinere Nachkorrekturen auch ohne Rückgriff auf die Versicherung selbst regulieren und uns um Kulanz unseren Kunden gegenüber bemühen.
Risiko & Vorsorge: Wie oft verzichten Ihre Patienten auf den Abschluss einer Folgekostenversicherung und was sind die häufigsten Missverständnisse über den Leistungsumfang solcher Versicherungen?
Boorboor: Bei Brustvergrößerung mit Implantaten wird die Versicherung von nahezu jeder Patientin in Anspruch genommen. Wir empfehlen dies auch sehr explizit. Die Versicherung bezahlt allerdings nur bei echten Komplikationen. Ästhetische Nachkorrekturen sind in der Leistung nicht enthalten. Diese verrichten wir allerdings wie erwähnt fast immer kostenfrei und auf Kulanz für unsere Patienten.
Risiko & Vorsorge: Gibt es eine gesetzliche Pflicht für plastische Chirurgen, eine Berufshaftpflicht nachzuweisen?
Boorboor: Eine gesetzliche Pflicht ist mir nicht bekannt. Allerdings wird jeder seriöse und aktive plastische Chirurg sich versichern müssen, weil er ansonsten ein sehr hohes wirtschaftliches Risiko eingeht. Sollte es zu Verurteilungen bei Behandlungsfehlern kommen, und er würde keine Haftpflichtversicherung vorweisen können, muss er privat haften. Das kann weitreichende Folgen für sein berufliches und privates Leben haben. Wir haben eine solche Versicherung mit einer Deckungssumme von 5 Millionen Euro. Da die Schadenersatzforderungen in Deutschland eher gering sind, ist diese Absicherung nach unserer Einschätzung mehr als ausreichend.
Risiko & Vorsorge: Ist es Ihnen bekannt, ob Ärzte ohne Berufshaftpflicht operieren und falls ja, wie oft dies vorkommt?
Boorboor: Ja, es gibt einige wenige Ärzte, die keine Versicherung abgeschlossen haben bzw. deren Berufshaftpflicht gekündigt wurde, und sie daher ohne einen entsprechenden Schutz operieren. Oft kündigt die Vermögensschadenshaftpflicht den versicherten Ärzten bereits nach mehreren Schadensfällen mit 100.000 Euro oder mehr. Als Patient sollte man daher seinen Arzt nach einer Berufshaftpflicht fragen, um ganz sicherzugehen.
Risiko & Vorsorge: Herzlichen Dank für das Interview.
Das Interview erschien ursprünglich am 29.05.2019 in „Risiko & Vorsorge“ 1 – 2019, S. 18 – 20.