Für Sonntag, 01.08.2021 waren für Berlin diverse Demonstrationen angemeldet. Die größte mediale Aufmerksamkeit erreichte dabei sicher die von Querdenken angemeldete Großdemonstration zu dem Thema „Friede, Freiheit, Wahrheit“. Diese wurde per Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Az. OVG 1 S 107/21, VG 1 L 377/21 Berlin) vom 31.07.2021 verboten. Am 01.08.2021 um 00:20 Uhr schrieb der Querdenken vertretende Rechtsanwalt Friedemann Däblitz hierzu im Telegramkanal von Rechtsanwalt Ralf Ludwig hierzu:
„Das Bundesverfassungsgericht hatte ich telefonisch nach der Meldung aus Berlin nicht mehr erreicht, dort wird der eingereichte Eilantrag mit einiger Sicherheit auch nicht mehr bearbeitet werden.“[1]
Am 01.08.2021 um 23:30 Uhr teilte Däblitz ergänzend mit:
„Die angekündigte Verfassungsbeschwerde ist nun eingereicht. Und zwar sowohl beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, als auch beim Bundesverfassungsgericht.
[…]Noch vor der Entscheidung des OVG rief mich um 16:17 Uhr einer der Richter des Verfassungsgerichtshofes an.
Das Gericht habe „eine Zäsur“ für 16 Uhr entschieden. Danach sehe es sich aus organisatorischen Gründen nicht mehr in der Lage, eine Entscheidung zu treffen.“[2]
Das heißt, als der Ablehnungsbescheid des OVG für die für Sonntag, den 01.08.2021 geplante Großdemonstration einging, war der weitere Rechtsweg effektiv bereits verschlossen…
Das Verbot war für viele Demonstranten, aber auch für viele eher regierungsnahe Denkende sicher überraschend. Noch am 24.07.2021 war es in Berlin je nach Quelle rund 65.000[3] bis 80.000[4] Teilnehmern möglich, friedlich und weitgehend ohne Abstände oder Masken beim Christopher Street Day (CSD). Wörtlich hieß es hierzu bei der „Berliner Morgenpost“:
„Am Sonnabend feierte Berlin den Christopher Street Day nach der Parade rund um den Nollendorfplatz ohne Masken und Abstand.“[5]
Maskenlos durch die Stadt
Wer sich am 31.07.2021 und am 01.08.2021 in Berlin befand, kam nicht umhin zu bemerken, dass sowohl im Hauptbahnhof, in der Außengastronomie als auch auf den Straßen – auch weit jenseits jeden Demonstrationsgeschehens ein überwiegender Teil der Personen weder politisch gewünschte Abstände noch ein Maskengebot beachtete. In einigen Gaststätten trug das Personal gar keine Masken, an anderen Orten wurde diese unter der Nase getragen und oft waren es gerade jene, die Masken trugen, die besonders aus der Menge hervorstachen. Auch viele Polizisten wurden gesehen und teilweise auch im Foto festgehalten, die weder Abstände noch eine Maskenpflicht einhielten. Dies gilt auch für solche, die etwa in einer polizeilichen Maßnahme am 31.07.2021 durch Fotobeweis dokumentiert wurden.
Auch, wenn viele Polizisten gegen Covid-19 geimpft sein sollen oder tatsächlich sind, kann für sie keine Ausnahme vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung oder vom Abstandhalten angenommen werden, sofern man dem offiziellen Narrativ folgen will. So schrieb etwa das „zdf heute“ am 28.07.2021 wie folgt:
„Im Mai gab die US-Gesundheitsbehörde bekannt, dass die Maskenpflicht für Geimpfte fast überall nicht mehr nötig sei. Die Delta-Variante zwingt die Experten jetzt, zurückzurudern.“[6]
Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Berliner Polizei als Exekutive selbst daran glaubt, im Sinne der Rechtsstaatlichkeit Abstandsregeln oder Maskentragen von Demonstranten und / oder Passanten einfordern zu müssen. Bis auf eine Veranstaltung von „dieBasis“ und der „Freien Linken“ am Nettelbeckplatz / Berlin Wedding am Abend des 31.07.2021 konnte der Autor dieser Zeilen vor Ort keine einzige Polizeidurchsage hören, die Abstände oder das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung eingefordert hätte.
Offenbar politisch motivierte Demonstrationsverbote
Da der gesamte Schriftwechsel, der zum Demonstrationsverbot führte, auf Telegram veröffentlicht wurde, seien hier einige der Passagen zitiert, mit denen das Gericht das Verbot der ursprünglich geplanten Großdemonstration begründete:
„Im Übrigen haben themengleiche Versammlungen und Ansammlungen auch der Versammlungsreihe „Pfingsten in Berlin“ gezeigt, dass von Teilnehmenden regelmäßig keine Sicherheitsabstände eingehalten und keine Mund-Nasen-Bedeckungen getragen werden. Die Begrenzung der Teilnehmendenzahl ist bei entsprechender Personenzusammensetzung mithin kein geeignetes Mittel, die von solchen Versammlungen ausgehende gesteigerte Gefahr von SARS-CoV‑2 Infektionen in der derzeitigen Situation auf ein tolerierbares Maß zu reduzieren.
[…]
Eine zurzeit zu verhindernde Bildung von größeren Menschenmengen ohne medizinisch sinnvolle Mindeststandards würde die aus infektionsschutzrechtlichen Gründen erforderlichen staatlichen Einschränkungsmaßnahmen konterkarieren und die zurzeit schon kritische Infektionslage weiter begünstigen. Dies belegt die vorgenannte Studie zu COVID-19 Infektionen nach Querdenken-Demonstrationen anschaulich. Eine Folge wäre eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung und damit für Leib und Leben jedes Einzelnen. Hierzu könnte auch in der Rechtsfolgenabwägung der für die freiheitlich demokratische Grundordnung geradezu konstituierenden Versammlungsfreiheit gegenüber den erheblichen von Ihrer Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren nicht der Vorzug gegeben werden.
[…]
VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT
Mildere Mittel zur Begegnung der prognostizierten Gefahrenlage sind vorliegend nicht erkennbar. Infektiologische Gefahren bestanden bei den vergangenen Versammlungen, da sich die teilnehmenden Personen ohne Einhaltung der Mindestabstände und ohne Mund-Nasen-Bedeckung vor Ort zusammenfanden. Eine Einflussnahme durch die Versammlungsleitung war dabei durch gleiches Verhalten regelmäßig nicht gegeben.
Ein solches Infektionsrisiko in Gruppenform ist mithin nur durch das Verbot der Versammlungen zu verhindern.
Das Verbot ist damit vorliegend verhältnismäßig, geeignet und alternativlos. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit im Rahmen des Infektionsschutzes überwiegt hier Ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Die im Hinblick auf den Schutzgedanken des Art. 2 Abs. 2 GG getroffenen gesetzlichen Regelungen wären als Bestandteil der öffentlichen Sicherheit bei einer nicht reglementierten Versammlungsdurchführung in nicht hinnehmbarer Weise verletzt.
[…]
Wegen der begründeten unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann der Ausgang eines eventuellen Rechtsstreites nicht abgewartet werden.
Ihre Versammlungsteilnehmenden rekrutieren sich aus einem Kreis von Personen, die den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung von COVID 19 kritisch gegenübersteht.
Diese Personen sind ohnehin einer höheren Infektionsgefahr ausgesetzt. Ein Zusammenkommen in größerer Menge unter Missachtung der für die Bekämpfung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus unabdingbaren Mindestabstandsregel, ist aus infektiologischer Sicht nicht hinnehmbar und mit erheblichen Gefahren für die Gesundheit der Beteiligten und in Folge auch Dritter verbunden. Der vorstehenden Begründung, in der die bestehenden Gefahrenmomente bereits umfassend ausgeführt worden sind, muss sich auch hier angeschlossen werden.“[7]
Nicht alle Menschenansammlungen stören das Auge des Gesetzes.…
Faktisch wurden von der Polizei vor Ort auch Einzelmahnwachen gegen die Corona-Maßnahmen innerhalb des Regierungsviertels verboten.
So wurde beispielsweise am 31.07.2021 der Christian von Narra[k]tiv (Kanal unter https://t.me/narraktiv) von der Polizei in Gewahrsam genommen, nachdem er über eine Woche lang unbehelligt alein mit einer Deutschlandflagge vor dem Reichstag stehen konnte. Die Polizei habe aktuell ein Problem damit, da die von Querdenken organisierte Großdemonstration verboten worden sei. Präventiv habe er daher den Platz zu räumen. Da er dies nicht wollte, habe die Polizei ihn in Gewahrsam genommen und ihm einen Platzverweis bis zum 01.08.2021 um 23:59 Uhr ausgesprochen. Rechtsgrundlagen seien von der Polizei nicht benannt worden. Mehr zur polizeilichen Maßnahme finden Sie unter https://t.me/wirsindvielmehr/11153.
Eine andere Demonstrantin berichtete am 31.07.2021 davon, wie sie mit einen nicht personalisierten und nicht unterschriebenen Platzverweis für das Regierungsviertel erhalten habe, der bis zum 01.08.2021 um 23:59 Uhr wirksam sei. Konkret benannt wurden darin die Grenzen der polizeilich festgelegten „Bannmeile“. Der Inhalt des Schreibens kann vom Autor dieser Zeilen bestätigt werden.
Gleichwohl konnten am 31.07.2021 u. a. Demonstranten eine (laut Passanten wöchentlich stattfindende) nicht regierungskritische, Demonstration unter Schwenken von Israel- und Jesusflaggen abhalten. Auch tanzsportliche Aufführungen einiger junger Männer mit anfänglich kleinerem, später umso größerem Publikumsaufkommen schienen für die Stadt Berlin kein Problem zu sein, dies trotz einer bereits am Samstag immer weiter zunehmenden Polizeipräsenz.
Am 01.08.2021 begründete eine Polizistin dem Autor dieser Zeilen gegenüber das angebliche Verbot einer spontanen Demonstration im Zusammenhang mit dem behördlich genehmigten Autocorso des bekannten Sängers „Björn Banane“ damit, dass aktuell keine Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen erlaubt seien. Entsprechende Polizeidurchsagen sind allerdings nicht bekannt.
Der regiernahe kommentierende rbb schrieb hierzu:
„Am Sonntagvormittag hatten sich die Teilnehmenden vom Olympiastadion zu Fuß über Bismarck- und Kantstraße auf den Weg gemacht – angeblich, um einen geplanten legalen Autokorso zu Fuß zu begleiten. Der Autokorso war genehmigt, die Begleitung zu Fuß allerdings nicht.“[8]
Dem rbb sollte bekannt sein, dass jede nicht verbotene Demonstration auch ohne vorherige Anmeldung unter Artikel 8 des Grundgesetzes fällt. Hier wird offenbar die Unwissenheit mancher Leser ausgenutzt, die aus Demonstrationsverboten einiger angemeldeter Versammlungen ein Verbot sämtlicher auch spontaner Versammlungen ableiten.
Trotz der gerichtlichen Verbote für eine Reihe von angemeldeten Demonstrationen fanden sowohl am 31.07.2021 als auch am 01.08.2021 diverse genehmigte als auch spontane Demonstrationen, Demonstrationszüge und Autocorsos in Berlin statt.
Allein für den 31.07.2021 seien folgende angemeldeten Demonstrationen und Mahnwachen ausdrücklich erlaubt gewesen[9]:
- „Hände weg von unseren Grundrechten! Freie Fahrt für ein freies Leben! Abkehr von der Angst- und Panikpolitik!“ / Aufzugsstrecke: Parkplatz Pankow Heinersdorf – Am feuchten Winkel
- „Für die Abschaffung der 2 Klassengesellschaft durch Merkels Impferpressung“ / Aufzugsstrecke: (AP) Olympischer Platz – Trakehner Allee – Olympische Str.
- „Wiederherstellung der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG und der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG“ / Aufzugsstrecke: P+R Parkplatz S‑Bahnhof Altglienicke
- „Wo finden wir echte Hoffnung und echten Halt für die Zukunft? Demonstration für Hoffnung am Ende der Corona-Pandemie.“ / Versammlungsort: Tempelhofer Feld
- „Mahnwache Für Grundrechte und Menschlichkeit“ / Versammlungsort: Hermannplatz
- „Markt der Demokratie (rein symbolische Bezeichnung) Verschiedene Gruppen und Initiativen äußern ihre (unterschiedliche) mehr oder weniger umfassende Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie; Austausch und Diskussion darüber“ / Versammlungsort: Nettelbeckplatz
- „Mahnwache: Verhältnismäßigkeit der Coronamaßnahmen (vom 03.07. bis 25.09.2021 – jeweils Sa.)“ / Versammlungsort: Kirchstr.
- „Mahnwache – Verhältnismäßigkeit der Coronamaßnahmen“ / Versammlungsort: Kaiser-Wilhelm-Str.
- „Mahnwache: Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen“ / Versammlungsort: Königin-Luise-Str.
Hierzu mehr in bereits veröffentlichten als auch folgenden Beiträgen.
[1] Siehe https://t.me/RA_Ludwig/2766
[2] https://t.me/RA_Friede/1330
[3] „65.000 Menschen ziehen durch Europas „Regenbogenhauptstadt“ Berlin“ auf „rbb24.de“ vom 24.07.2021 um 20:14 Uhr. Aufzurufen unter https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2021/07/berlin-christopher-street-day-csd-lgbtiq.html, zuletzt aufgerufen am 02.08.2021
[4] Sebastian Goddemaier „CSD in Berlin: Feuern, wo die Polizei nicht hinschaut“ auf „morgenpost.de“ vom 24.07.2021 um 19:49 Uhr. Aufzurufen unter https://www.morgenpost.de/berlin/article232877489/CSD-in-Berlin-Feiern-wo-die-Polizei-nicht-hinschaut.html, zuletzt aufgerufen am 02.08.2021
[5] Sebastian Goddemaier „CSD in Berlin: Feuern, wo die Polizei nicht hinschaut“ auf „morgenpost.de“ vom 24.07.2021 um 19:49 Uhr. Aufzurufen unter https://www.morgenpost.de/berlin/article232877489/CSD-in-Berlin-Feiern-wo-die-Polizei-nicht-hinschaut.html, zuletzt aufgerufen am 02.08.2021
[6] „Delta-Variante – USA: CDC empfiehlt wieder Maskentragen“ auf „zdf.de“ vom 28.07.2021 um 03:32 Uhr. Aufzurufen unter https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-usa-elta-variante-cdc-empfiehlt-maskentragen-100.html, zuletzt aufgerufen am 02.08.2021.
[7] https://t.me/QUERDENKEN_711/3352, Seite 129 – 130
[8] „Polizei zieht Bilanz nach „Querdenker“-Demos in Berlin“ auf „rbb24.de“ vom 02.08.2021 um 06:43 Uhr. Aufzurufen unter https://www.rbb24.de/panorama/thema/corona/beitraege/2021/08/berlin-querdenker-autokorso-demonstrationen-protest.html, zuletzt aufgerufen am 02.08.2021
[9] https://t.me/RA_Friede/1326