Der Not­auf­nah­me-Situa­ti­ons­re­port und die gesund­heit­li­che Lage in Deutschland

Gastautor: Andy Poppenberg

Danke für die freundliche Erlaubnis von Andy Poppenberg, diesen Beitrag auch bei uns veröffentlichen zu dürfen, mit dem wir unseren Lesern einen alternativen Blick auf ein Thema ermöglichen wollen. Auf Grundlage dieses Artikels entstand auch sein Video, aufzufinden unter https://www.youtube.com/watch?v=oMgLqB2tClM.

Das RKI hat am 17.11.2021 den aktuellen Notaufnahme-Situationsreport[1] veröffentlicht, der für den Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 14.11.2021 die Anzahl der Inanspruchnahme der Notaufnahmen für verschiedene Notaufnahmegründe und Altersgruppen vergleicht. Aus den Vorstellungsgründen, aufgrund welcher gesundheitlichen Probleme jemand in die Notaufnahme aufgenommen werden musste, wurden drei ausgewählt: respiratorische (die Atemwege betreffend), kardiovaskuläre (Herz und Blutkreislauf, z.B. Herzinfarkt und Herzmuskelentzündung) und neurologische (Gehirn und Motorik, z.B. Schlaganfälle und Lähmungen).

Quelle: RKI Notaufnahme-Situtationsreport
Quelle: RKI Notaufnahme-Situtationsreport
Quelle: RKI Notaufnahme-Situtationsreport

Es liegt zunächst nahe, die Auswirkungen der Pandemie und die Manifestation der epidemischen Lage in den Daten der respiratorische Vorstellungsgründe nachzuvollziehen, denn die Grundlage der epidemischen Lage ist ja die ständig drohende Überlastung des Gesundheitssystems und der Intensivbetten aufgrund des respiratorischen Syndroms mit dem Coronavirus. Man erwartet 2020 einen deutlichen Anstieg im Vergleich zu 2019, als es noch keine Pandemie gab, und auch ein höheres Niveau als für das aktuelle Jahr 2021, wo ja schon die meisten Menschen durch die Impfung geschützt sind. Betrachtet man die Grafik jedoch, dann fällt auf, dass erstmal nichts auffällt. Die Pandemie 2020 ist nicht zu sehen, die Kurve unterscheidet sich kaum von 2019, liegt meistens unterhalb von dieser und fällt Ende 2020 deutlich unter die des Vorjahres. Genauso beginnt auch das Jahr 2021, in dem die Anzahl der Notaufnahmen aus respiratorischen Vorstellungsgründen bis Ende April weit unter den beiden Vorjahren liegt, danach bis Mitte August etwa auf demselben Niveau bleibt und dann über die Vorjahre ansteigt.

Quelle: RKI Notaufnahme-Situtationsreport

Das Jahr 2020 mit Pandemie und ohne Impfung unterscheidet sich in der Anzahl der Notaufnahmen aus Gründen von Atemwegserkrankungen überhaupt nicht vom Vorjahr 2019 ohne Pandemie. Das Jahr 2021 liegt mit Pandemie und mit bzw. trotz Impfung bis zum Anstieg ab September ebenfalls auf etwa demselben Niveau wie beide Vorjahre. In dieser Statistik ist weder eine Pandemie durch markant vermehrte Notaufnahmen 2020 noch eine Wirkung der Massenimpfung durch verminderte Notaufnahmen 2021 zu finden. Aber was hat es mit dem Anstieg ab September auf sich? Hier lohnt ein Blick auf die Notaufnahmen aufgrund akuter respiratorischer Erkrankungen und schwerer akuter respiratorischer Infektionen, bei denen es zwar zwei deutliche Spitzen in der Zeit von Mitte März bis Anfang Mai 2020 gibt, der größte und längste Anstieg jedoch von Ende September bis Mitte November 2021 zu sehen ist, als die Impfquote schon über 50 % lag.

Wer meint, Covid-19 ist weniger eine Lungenerkrankung als eine Gefäßkrankheit, der muss in der entsprechenden Grafik allerdings feststellen, dass die Notaufnahmen aus kardiovaskulären Gründen im Jahr 2020 konstant unterhalb derer von 2019 lagen. Ebenso verhält es sich mit den neurologischen Vorstellungsgründen. Beide Kurven fallen im März 2020 unter das Niveau von 2019 und bleiben, von wenigen kleinen Spitzen abgesehen, bis April 2021 darunter. Aber dann passiert etwas wirklich Auffälliges: Anfang Mai 2021 schießen beide Kurven in exponentiellem Wachstum von einem unterdurchschnittlichen Wert weit über das Niveau der Vergleichsjahre 2019 und 2020 hinaus und bleiben bis heute außergewöhnlich hoch.

Hier ist nicht nur eine Tendenz, sondern ein Trend erkennbar: Die Anzahl der Notaufnahmen aus kardiovaskulären und neurologischen Vorstellungsgründen liegt weit oberhalb der vergangenen Jahre, bei letzteren sind es fast 50 % mehr, also die Hälfte mehr motorische Probleme, Schlaganfälle und Lähmungen. Woran das liegen kann, will ich gar nicht spekulieren. Die einen werden vermuten, dass dies die Auswirkungen von „Long Covid“ sind, die anderen einen Zusammenhang mit den „Impfungen“ herstellen. Welche Zusammenhänge da tatsächlich bestehen, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen.

Quelle: RKI Notaufnahme-Situtationsreport

Dasselbe Bild ergibt sich, wenn man ganz allgemein und unabhängig von verschiedenen Vorstellungsgründen die relative Abweichung der Notaufnahmevorstellungen zum Mittelwert im Vorpandemiejahr 2019 betrachtet. Wenn der Durchschnitt des Jahres 2019 als null gesetzt wird, fallen die Notaufnahmen ab März 2020 und noch vor dem ersten Lockdown drastisch bis auf -40 % ab und bleiben den Rest des Jahres unterdurchschnittlich. Im Jahr 2021 steigen sie von -20 % bis zum Spätsommer stetig an und erfahren Ende September einen steilen Anstieg weit über den Durchschnitt der Vorjahre, der erst Anfang November ebenso steil wieder abfällt.

Sortiert man diese Daten nach Altersgruppen und vergleicht sie mit den Vorjahren, wird das Bild klarer. Der Anstieg im September 2021 wird vor allem verursacht durch einen sehr starken Anstieg in der Altersgruppe der 0 bis 19-Jährigen, während er bei den 20 bis 59-Jährigen deutlich, aber nicht so stark ausfällt, und bei den Menschen über 60 Jahren kaum sichtbar ist. Es sind also gerade diejenigen betroffen, die nicht zu den Covid-Risikogruppen zählen. Bei den über 60-Jährigen gibt es fast überhaupt keinen Unterschied in den Notaufnahmen 2019, 2020 und 2021. Erst nach dem Anstieg im Sommer 2021 liegt die Kurve überhaupt über der von 2019.

Quelle: RKI Notaufnahme-Situtationsreport

Fazit: Das Pandemiejahr 2020 unterscheidet sich in der Statistik der Notaufnahmen überhaupt nicht vom Jahr 2019 ohne Pandemie oder epidemische Lage. Ab März liegt die Kurve sogar deutlich unter der von 2019. Eine drohende Überlastung der Intensivbetten, die zudem um einige tausend abgebaut wurden, ist nirgends zu erkennen. Wir erleben aber im Jahr 2021 einen deutlichen Anstieg der Notaufnahmevorstellungen aus kardiovaskulären und neurologischen Gründen seit dem Frühjahr und wegen schwerer akuter respiratorischer Infektionen im Oktober und November, insbesondere bei den Jugendlichen bis 20 Jahre und Erwachsenen bis 59 Jahre, also bei der schulpflichtigen und werktätigen Bevölkerung, obwohl wir uns im Gegensatz zu unseren Nachbarn Polen, Dänemark und Holland seit 1,5 Jahren ohne Unterbrechung an sämtliche Hygieneregeln halten und Masken tragen mussten und obwohl zwei Drittel der Menschen vollständig geimpft und immunisiert sind. In Bezug auf die Notaufnahmen schneidet das Jahr 2021 also signifikant schlechter ab als das Jahr 2020. Ob es klug und zielführend ist, durch ein Fortsetzen und Ausweiten dieser Eindämmungsmaßnahmen und Impfungen die gesundheitliche Lage in Deutschland zu verbessern und die Auslastung der Intensivbetten zu reduzieren, kann nach dieser Bestandsaufnahme jeder selber entscheiden.

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wider, und ermöglichen unseren Lesern unterschiedliche Blickwinkel, um sich eine Meinung bilden bzw. Wissen erlangen zu können. 


Fußnoten:

[1] Notaufnahme-Situationsreport, RKI, 17.11.2021, https://edoc.rki.de/handle/176904/8992

[2] Andy Poggenberg, Der Notaufnahme-Situationsreport des Robert-Koch-Instituts und die gesundheitliche Lage 2021, 22.11.2021, https://www.youtube.com/watch?v=c4hfmWFeuuw

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