„Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie Kuchen essen! “
(Jean-Jacques Rousseau, Bekenntnisse, Band VI.)
Wie Zuschauer im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vermeintlich informiert und dennoch in die Irre geführt werden, konnte man in dieser Woche beim Thema „Durchschnittsrente“ erfahren.
Ricarda Lang, die am Dienstag (16.01.2024) in der gleichnamigen Talkshow des Moderators „Markus Lanz“ zu Gast war, wurde u. a. zur Rentenhöhe befragt. Ihre Unwissenheit hat ihr viel Kritik in den Sozialen Medien eingebracht.
Sollte aber nur sie kritisiert werden?
Ricarda Lang und die Durchschnittsrente
Markus Lanz hatte die Bundesvorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen gefragt, ob sie ungefähr wisse, „wie hoch […] die Durchschnittsrente in Deutschland“ sei. Sie antwortete hierauf, dass sie „die Durchschnittsrente […] tatsächlich nicht“ kenne.[1] Lanz hakte daher nach und fragte, ob „sie eine Idee“ habe. Mit heruntergezogenen Mundwinkeln und hin und her wackelndem Kopf rang Ricarda Lang sich ein „Nee, tatsächlich keine Konkrete“ ab. [2]
Dabei war sie laut Focus online noch im Sommer 2023 auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel selbstbewusst aufgetreten und habe dort erklärt: „Wir kümmern uns natürlich um die Rente.“[3]
Markus Lanz hakte nochmals in seiner unnachahmlichen Art fragend nach: „Ungefähr?“ Ricarda Langs Blick in die Luft half ihr ebenso nicht weiter. Sie antwortete vielmehr fragend: „Ich würde davon ausgehen, dass wir bei 2000 € liegen?“ [4]
„Durchschnittsrente?“, fragte Markus Lanz noch einmal nach. Sie nickte mit dem Kopf, derweil der neben ihr sitzende Journalist Michael Bröcker nur noch die Augen zukneifen konnte. [5]
„1543 €“, belehrte sie Markus Lanz. „Das ist noch ein Stück ab“, murmelte sie daraufhin kaum verstehbar, derweil Markus Lanz kritisch anmerkte: „Nach 45 Jahren Arbeit.“[6]
Um 2000 € Nettorente zu erhalten, müsste man 35 Jahre lang mindestens ca. 7000 € brutto oder 40 Jahre lang ca. 6150 € brutto monatlich verdienen (Stand 15.08.2023).
Altersrenten, Zahl und durchschnittliche Höhe
Der durchschnittliche Bruttobetrag der Altersrenten nach mindestens 35 Versicherungsjahren lag 2022 nach Informationen der Deutschen Rentenversicherung bei 1550 € (Männer 1.728 €, Frauen 1.316 €). Da nicht alle Versicherten 35 Versicherungsjahre nachweisen können, etliche vorzeitig erwerbsunfähig werden und somit Abschläge hinnehmen müssen, kann von diesem theoretischen Wert nicht direkt abgeleitet werden, wie viel Rente den Menschen in Deutschland tatsächlich zur Verfügung steht. [7]
In Nordrhein-Westfalen lag der durchschnittliche Bruttobetrag der Altersrenten nach mindestens 35 Versicherungsjahren Ende 2022 für Männer mit 1.845 € am höchsten, gefolgt vom Saarland mit 1.840 € und Baden-Württemberg mit 1.830 €. Schlusslicht war Mecklenburg-Vorpommern mit 1537 €. Der Unterschied zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Saarland betrug 5 €, zwischen Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern waren es satte 308 €.[8]
In Berlin-Ost lag der durchschnittliche Bruttobetrag der Altersrenten nach mindestens 35 Versicherungsjahren Ende 2022 für Frauen mit 1.501 € am höchsten, gefolgt von Hamburg mit 1.394 € und Brandenburg mit 1.374 €. Schlusslicht war Niedersachsen mit 1.267 €. Der Unterschied zwischen Berlin-Ost und Hamburg betrug 107 €, zwischen Berlin-Ost und Niedersachsen waren es 234 €.[9]
Abbildung 1: Die Altersrenten[10]
Der durchschnittliche Zahlbetrag lag 2022 aber bei nur 1.384 €, das sind 166 € (minus 10,7 %) weniger als der durchschnittliche Bruttobetrag der Altersrenten nach mindestens 35 Versicherungsjahren betrug. Männer erhielten durchschnittlich 1.543 € (diesen Betrag hatte Markus Lanz gegenüber Ricarda Lang angegeben), das waren 7 € (minus 0,45 %) weniger, Frauen hingegen erhielten aber nur 1.173 €, das waren 377 € (minus 24,3 %) weniger. [11] Dieser Differenzbetrag macht 72,5 % eines Minijobs (derzeit 520 €) aus.
Markus Lanz irrt!
Markus Lanz, der Richarda Lang vor einem Millionen-Publikum belehrte, irrte sich also ebenfalls, als er davon sprach, dass die Durchschnittsrente bei 1.543 € liegen würde. Die „Durchschnittsrente“ (gemeint war offenkundig der durchschnittliche Zahlbetrag) betrug 2022 aber nicht 1.543 €, sondern nur 1.384 €. Lediglich Männer erhielten den von Markus Lanz erwähnten Betrag von durchschnittlich 1.543 €, Frauen hingegen nur 1.173 €, und zwar nach mindestens 35 Versicherungsjahren.[12]
Ricarda Lang lag somit bei ihrer Schätzung für die Durchschnittsrente (= durchschnittlicher Zahlbetrag im Bundesgebiet) nicht nur um 497 € daneben, sondern sogar um 616 €, das sind 30,8 %. Bezieht man sich nur auf die Frauen, wären es sogar 827 €. Zum Vergleich: Der Regelbedarf in der Grundsicherung beträgt seit 2024 für die Stufe 1 für Rentner 563 €.
Mehr als ein Viertel haben weniger als 1.000 €
Laut einer Pressemitteilung von Destatis vom September 2022 ist bekannt, dass 4,9 Millionen Rentner und Rentnerinnen im Jahr 2021 ein persönliches monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro hatten, sie hatten also weder 2.000 € (Annahme Ricarda Lang), 1.534 € (Angabe Markus Lanz), noch 1.384 € zur Verfügung.
Abbildung 2: Persönliches monatliches Nettoeinkommen von Rentnern und Rentnerinnen aus Altersgründen 2021[13]
27,8 % der Rentner hatten also nur ein Nettoeinkommen von unter 1.000 €. 14,7 % waren Männer, 38,2 % Frauen. [14] Nur wenige Rentner und Rentnerinnen hatten nach Angaben von Destatis Renten von über 2000 € (ca. 26 % der Männer und ca. 15 % der Frauen), siehe Abbildung 2.[15] Die meisten Menschen müssen sich mit Renten unterhalb von 1500 € begnügen (ca. 44 % der Männer und 67 % der Frauen).
Grundsicherung im Alter
3,4 % der Rentner und Rentnerinnen erhielten im Dezember 2021 Grundsicherung im Alter, das waren 589 000 Menschen.[16] Ungefähr so viele Menschen lebten 2022 z. B. in der Großstadt Essen (584.580), die auf Rang der 10 der größten Städte in Deutschland steht[17].
Um Politik für die Bürger dieses Landes machen zu können, sollten Entscheidungsträger der Ampelregierung zumindest die Lebensverhältnisse der Menschen kennen, bevor sie massive Einschnitte vornehmen. Offensichtlich bestand aber kein Interesse, sich mit ihren finanziellen Verhältnissen auseinanderzusetzen.
Viele Rentner und Rentnerinnen sind notgedrungen erwerbstätig
2021 waren 12,9 % der 65- bis unter 75-jährigen Rentner und Rentnerinnen erwerbstätig. Für 40,8 % der erwerbstätigen Rentner zwischen 65 bis unter 75 Jahren waren die hieraus gewonnen Einkünfte die vorwiegende Quelle des Lebensunterhalts, das sind ca. 470.000 Menschen. [18]
Weitere Informationen entnehmen Sie der Pressemitteilung von Destatis.
Focus wirre Renten-Vorschläge
Im Zuge der aktuellen Diskussion um die Höhe der Durchschnittsrente hat Focus-online die vermeintlich besten Vorschläge zusammengefasst, mit denen das Rentenproblem gelöst werden könnte. Unter anderem rangiert auf Nr. 1 die „Anpassung des Rentenalters“ als Lösungsvorschlag, und zwar in Form einer „Kopplung an die Lebenserwartung“ (Dies sei angeblich eine populäre Lösung, nur bei wem?), bzw. als „flexibles Rentenmodell“. Anstatt die geringen Rentenzahlungen nach oben anzupassen, die seit Jahren künstlich eingefroren oder mit allerlei Tricks tief gehalten (siehe z. B. Anerkennung von Studienzeiten) wurden, sollen die Menschen in Deutschland noch länger arbeiten. Offenbar präferieren einige wohl das Modell: „Vom Job zeitnah zum Friedhof.“ Damit könnte man die Sozialkassen sicherlich entlasten.
Bei einer Kopplung an die durchschnittliche Lebenserwartung werden insbesondere Menschen mit geringem Einkommen das Nachsehen haben. Ihre Lebenserwartung ist bekanntermaßen aufgrund der schlechten Lebensbedingungen deutlich reduziert. Das Sterberisiko für arme und arbeitslose Menschen ist entsprechend erhöht. Es trifft somit auch die ca. 5 Millionen Rentner, die eine Rentner unter 1.000 € beziehen.
„Besonders bei Männern hat Armut und Arbeitslosigkeit einen großen Einfluss auf die Lebenserwartung: Bei arbeitslosen Männern im Alter zwischen 30 und 59 Jahren ist das Sterberisiko um das 8‑fache erhöht im Vergleich zu Männern aus der höchsten Einkommensklasse. Bei Frauen ist das Sterberisiko etwa 5‑mal so hoch wie bei ihren spitzenverdienenden Pendants.“ [19]
Weitere Informationen erhalten Sie hier.
Renten im internationalen Vergleich
Eine weitere Erhöhung des Rentenalters, – nichts anderes bedeutet eine „Kopplung an die Lebenserwartung -, würde eine zusätzliche Absenkung der Rente für Deutsche bedeuten. Bereits 2007 wurde mit dem sogenannten Altersgrenzenanpassungsgesetz für Versicherte ab dem Geburtsjahrgang 1964 die Vollendung des 67. Lebensjahres als neue Regelaltersgrenze eingeführt. Für die Geburtsjahrgänge 1947 bis 1963 war eine Übergangsregelung mit stufenweiser Anhebung der Altersgrenze vorgesehen. Zudem ist eine abschlagfreie Rente mit 63 nicht mehr möglich. Dafür müsste man in Deutschland mindestens 45 Arbeitsjahre, und nicht 35 Arbeitsjahre, vorweisen.[20]
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass Deutschlands Renten bereits jetzt im unteren Bereich liegen, hier ein Beispiel der Rentenhöhe in Prozent des Einkommens (für Durchschnittsverdiener) im Jahr 2021 für Männer, weitere Informationen erhalten Sie hier. [21]
Abbildung 3: Rentenhöhe in Prozent des Einkommens für Durchschnittsverdiener[22]
[1] „Markus Lanz vom 16. Januar 2024“, ZDF, 16.01.2024, https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-16-januar-2024 – 100.html
[2] „Markus Lanz vom 16. Januar 2024“, ZDF, 16.01.2024, https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-16-januar-2024 – 100.html
[3] „Im Gespräch mit FOCUS online: Im Sommer gab Lang noch die Renten-Expertin – jetzt entlarvt sie sich selbst“, Focus online, 17.01.2024, https://www.focus.de/politik/deutschland/focus-online-interview-im-sommer-gab-lang-noch-die-renten-expertin-jetzt-entlarvt-sie-sich-selbst_id_259585981.html
[4] „Markus Lanz vom 16. Januar 2024“, ZDF, 16.01.2024, https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-16-januar-2024 – 100.html
[5] „Markus Lanz vom 16. Januar 2024“, ZDF, 16.01.2024, https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-16-januar-2024 – 100.html
[6] „Markus Lanz vom 16. Januar 2024“, ZDF, 16.01.2024, https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-16-januar-2024 – 100.html
[7] „Pressemitteilung Nr. N 061 vom 29. September 2022“, Destatis, 29.09.2022, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N061_12_13.html
[8] „Pressemitteilung Nr. N 061 vom 29. September 2022“, Destatis, 29.09.2022, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N061_12_13.html
[9] „Pressemitteilung Nr. N 061 vom 29. September 2022“, Destatis, 29.09.2022, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N061_12_13.html
[10] „Analyse der Altersrenten in den Bundesländern“, Deutsche Rentenversicherung, 10.07.2023, https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Ueber-uns-und-Presse/Presse/Meldungen/2023/230710-vorauszug-rentenatlas.html
[11] „Pressemitteilung Nr. N 061 vom 29. September 2022“, Destatis, 29.09.2022, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N061_12_13.html
[12] „Pressemitteilung Nr. N 061 vom 29. September 2022“, Destatis, 29.09.2022, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N061_12_13.html
[13] „Analyse der Altersrenten in den Bundesländern“, Deutsche Rentenversicherung, 10.07.2023, https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Ueber-uns-und-Presse/Presse/Meldungen/2023/230710-vorauszug-rentenatlas.html
[14] „Pressemitteilung Nr. N 061 vom 29. September 2022“, Destatis, 29.09.2022, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N061_12_13.html
[15] „Analyse der Altersrenten in den Bundesländern“, Deutsche Rentenversicherung, 10.07.2023, https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Ueber-uns-und-Presse/Presse/Meldungen/2023/230710-vorauszug-rentenatlas.html
[16] „Pressemitteilung Nr. N 061 vom 29. September 2022“, Destatis, 29.09.2022, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N061_12_13.html
[17] „Liste der Großstädte in Deutschland“, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Gro%C3%9Fst%C3%A4dte_in_Deutschland
[18] „Pressemitteilung Nr. N 061 vom 29. September 2022“, Destatis, 29.09.2022, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/09/PD22_N061_12_13.html
[19] Jana Hacker, „Hartz IV Studie: Arbeitslose sterben erheblich früher“, Hartz IV, 18.10.2019, https://www.hartziv.org/news/hartz-iv-studie-arbeitslose-sterben-erheblich-frueher/
[20] „Ländercheck Wut über Rente mit 64 in Frankreich – Rentensysteme in Europa im Vergleich“, mdr. 24.03.2023, https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/frankreich-rente-alter-laender-europa-vergleich-102.html
[21] „Vorsorge: Deutschlands Rente im internationalen Vergleich“, growney, 17.03.2023, https://growney.de/blog/deutschlands-rente-im-internationalen-vergleich
[22] „Vorsorge: Deutschlands Rente im internationalen Vergleich“, growney, 17.03.2023, https://growney.de/blog/deutschlands-rente-im-internationalen-vergleich